November 4, 2024

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Deutschland, Europas neues schwächstes Glied? – 04.03.2024 um 08:52 Uhr

(Bildnachweis: Adobe Stock – )

Eine Zusammenfassung der Aktivitäten im privaten Sektor in Deutschland verschlechterte sich im Februar. Ein neues Zeichen für die Schwäche der deutschen Wirtschaft, passend zur Rekordrezession des letzten Jahres. Patrick Artes erklärt, warum diese Situation so vorhersehbar war

Deutschlands Wirtschaftswachstum ist im Jahr 2023 negativ (BIP ging um 0,3 % zurück) und das deutsche Wirtschaftsministerium prognostiziert für 2024 nur ein Wachstum von 0,2 %. Im Vergleich dazu verzeichnet Frankreich im Jahr 2023 ein Wachstum von 0,9 % (Jahresdurchschnitt) und die Wachstumsprognose für 2024 liegt laut verschiedenen Prognostikern zwischen 0,5 und 1 %.

Im Jahr 2023 ist es die deutsche Industrie, die diesen Attraktivitätsverlust erklärt: Die Produktion im verarbeitenden Gewerbe, das 20 % des BIP ausmacht, ist um 2 % zurückgegangen, die Exporte sind um 1,8 % zurückgegangen und die Industrieproduktion liegt 9 % unter dem Niveau vor Corona. Krise.

Umgekehrt widersetzen sich Dienstleistungen, insbesondere Informations- und Kommunikationsdienste. Die Unternehmensinvestitionen wachsen weiterhin negativ, aber der Konsum der privaten Haushalte steigt aufgrund ihres wachsenden Pessimismus, was dazu führt, dass ihre Sparquote weiter steigt.

Tatsächlich war diese ungünstige Situation der deutschen Wirtschaft weitgehend vorhersehbar. Anfang der 2000er Jahre entschied sich Deutschland für ein merkantilistisches Wachstumsmodell, das auf einem Wachstum der Exporte und nicht auf der Inlandsnachfrage basierte. Diese Entscheidung führte zu einer restriktiven Wirtschaftspolitik (Schuldenerlass, Begrenzung des öffentlichen Defizits auf 0,35 % des BIP, niedrige Löhne im Dienstleistungssektor, Deregulierung des Arbeitsmarktes) mit einem einzigen Ziel: die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit-Kosten der Industrie und die Ermöglichung eines weiterhin starken Wachstums . Im Export.

Doch dieses Geschäftsmodell ist heute wirkungslos geworden. Einerseits führten die geopolitische Krise (Protektionismus, Handelshemmnisse etc.) und die wirtschaftlichen Probleme Chinas zu einem Rückgang der chinesischen Importe und Exporte von Deutschland nach China (die im Jahr 2023 um 15 % zurückgingen). Andererseits sind die von deutschen Industrieunternehmen in China erzielten Umsätze beträchtlich (insgesamt macht der chinesische Markt 20 % des weltweiten Umsatzes deutscher Hersteller aus), allerdings sehen sich deutsche Unternehmen beispielsweise einer starken Konkurrenz durch chinesische Unternehmen gegenüber. In Bezug auf Elektroautos und andere Investitionsgüter.

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Zudem verschlechtert sich die Kostenwettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Jahr 2023 deutlich. Die Streiks nahmen zu und deutsche Unternehmen mussten die Löhne um 5,5 % erhöhen, während die Arbeitsproduktivität um 1 % sank. Daher lebt das Modell der Lohnzurückhaltung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit weiter.

Schließlich sind die deutschen Ersparnisse hoch: Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss wird bis Ende 2023 voraussichtlich 7 % des BIP erreichen. Doch dieser Ersparnisüberschuss wird, wie die Leistungsbilanz zeigt, an den Rest der Welt verliehen. Nicht in Deutschland investieren. Insbesondere deutsche Industrieunternehmen lockten die USA mit Steueranreizen (Anti-Inflation Act) und der Preis für Erdgas war in den USA viermal niedriger als in Europa. Insgesamt wurden 125 Milliarden Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland getätigt.

Ist der industrielle Niedergang Deutschlands unumkehrbar? Deutschland verfügt über komparative Vorteile bei der Produktion von Industriegütern: eine Industriekultur, eine hochentwickelte Ausbildung von Technikern und Ingenieuren, die Präsenz von 15.000 mittelständischen Unternehmen mit einer verlagerungsfeindlichen Kultur. Aber wie wir gesehen haben, sind die Herausforderungen vielfältig: Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, Verzögerungen bei der Entwicklung einiger Produkte (Elektroautos, Elektrobatterien, Halbleiter usw.), Bevölkerungsalterung, niedrige Arbeitsproduktivität.

Die Bundesregierung ist sich ihrer Defizite bewusst und bereitet ein Förderprogramm zur Modernisierung der Industrie in Höhe von mehr als 60 Milliarden Euro vor. Doch ein Urteil des Karlsruher Verfassungsgerichts verbot den Einsatz von „Sonderfonds“, die es ermöglicht hätten, die „Schuldenbremse“-Regel zu umgehen, die das Staatsdefizit auf 0,35 % des BIP begrenzt.

Die meisten deutschen Ökonomen befürworten eine Revision dieser Regelung, doch mehr als 60 % der Deutschen befürworten die Beibehaltung der Schuldenobergrenze. Der Ausgang der Schuldenmoratoriumsdebatte wird entscheidend dafür sein, ob wir für Deutschland wieder optimistisch sein sollten. Wenn die Modernisierungsbemühungen der Unternehmen nicht vom Staat unterstützt werden, werden große deutsche Unternehmen nach Amerika abwandern und Deutschland wird nicht mehr wettbewerbsfähig sein.

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Patrick Artes

Mitglied im Kreis der Ökonomen

Wirtschaftsberater Natixis